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AUSBRUCH

  • blummeret
  • 25. Nov. 2021
  • 5 Min. Lesezeit

Eine Kurzgeschichte von:

Fiona Odermatt, studiert an der Uni Basel



Es ist eine dieser billigen Dystopien. Angenehme Hintergrundgeräusche, Geruch nach Harz Rotkehlchen, detailliert geschrieben, das volle Programm. Gestern noch Western, etwas miefig aber vertraut, wie lange nicht gewechselte Bettlaken. Ich bin HUNDEMÜDE. Actionhelden schlafen nicht, man lässt sie nicht, wer würde denn solche Bücher lesen. In denen die Protagonisten nach einem Abenteuer regelmässig acht Stunden Schlaf bekommen. Acht Stunden wäre ideal. Manchmal geht meinem Autor das Geld aus. Dann schreibt er mich als Arztassistentin hinter einem Tresen, in Büchern mit Titeln wie „Kein Krau gegen Herzschmerz oder „Liebe geht durch dick und dünn Darm“. Mit Rosa Crocs und steriler Rosa Kleidung, weil irgendwer dachte das wirke weniger einschüchternd als das Weiss der Halbgötter. Vielleicht war die Überlegung noch praktischerer Natur und ging Richtung Ketchuppflecken und Speichel. Da habe ich eben, an den Empfang gelehnt, in einem Gesundheitsmagazin gelesen, um das Gurgeln aus dem Nebenraum auszublenden. Also in dem Magazin stand, man solle acht Stunden schlafen. Mit vier bin ich zufrieden. In einem Kalten-Krieg Roman war ich Geheimagent. Da durfte ich tatsächlich ständig ins Bett. Leider selten allein. Meist mit furchtbar schlecht geschriebenen Russinen. Die hatten lange Beine und so aber da mein Autor von der alten Garde ist, die noch nie was vom Berchtel-Test gehört hat, hatten sie weder Charakter noch Vorgeschichte und so gut wie gar keinen Text. Manche wurden im nächsten Kapitel von den eigenen Leuten liquidiert, damit ich die Handlung weiter vorantreiben, sprich dutzende Menschen erschiessen konnte, ohne dem feinsinnigen Gentleman Charakter zu sehr Abbruch zu tun. Also in den Romanen dieser Reihe, hat er manchmal im Halbsatz erwähnt, dass der Held jetzt seine hart antrainierten vier Stunden schläft. Das soll die Leser irgendwie beeindrucken, als technisches Detail einer fiktiven Agentenausbildung dem Roman eine gewisse Glaubwürdigkeit verleihen. Dabei machte es absolut keinen Sinn nur vier Stunden zu schlafen. So viele Mails hat noch nicht mal ein realer Mensch zu checken, um ein Leben mit nur vier Stunden Schlaf zu füllen. Einmal habe ich tatsächlich mit einer der Klischee Russinnen geredet. Wir sprachen Spanisch. Ich verstand deshalb sofort, dass diese Szene nicht so im Buch steht. Später schlich ich mich durch eine mit Laserschranken gespickten Gang und öffnete einen Safe mit einem Schlüssel, den mir Mascha gegeben hatte. Sie hatte einen Namen, auch das ungewöhnlich. Zum ersten Mal fühlte ich tatsächlich etwas. Lauwarmes Metall, Sie musste den Schlüssel lange mit sich herumgetragen haben. Der war dermassen real, dass ich einen Moment dachte, die feine Gravur zu spüren. YZ 7. Doch dann verschwand meine Autoinspiration, so schleichend wie sie mich überkommen hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, was in dem Safe drin gelegen wäre, was es mit mir zu tun gehabt haben könnte. Als ich Schritte auf dem Flur hörte, sprintete ich aus dem Raum, sprang über ein Balkongeländer und landete im hohen Schnee. Ob das noch aus eigenem Antrieb geschah, weiss ich nicht. Den Schlüssel habe ich im Schnee verloren. Die Typen, die mich rauszerrten, waren derartig klischiert beschrieben, dass ich mich kurz fragte, ob sie möglicherweise immer noch meinen Gedanken entsprangen, meiner eigenen Angst. Doch dann begannen sie sich abzusprechen und ich erkannte in den Dialogen den Stil meines Autors. Das war das nächste an Realität was ich bisher erlebt habe. Die Szene mit dem Safe hatte mein Autor nicht geschrieben. Er war kein Talent aber technikaffin und der Safe hatte gewirkt wie aus einem Kinder-Krimi. Den habe ich mir ausgedacht. Lächerlich, vielleicht, aber ich war nie zuvor so zufrieden. Schliesslich bin ich kein Autor, wozu überzogene Ansprüche stellen. Dannach hatte mich die Handlung endgültig eingeholt. Die nächste Szene, mit einem Stuhl, hellem Licht und zu viel Seil schrieb, obwohl beinahe so plump wie die mit dem Safe, eindeutig wieder der Autor. Während dem Verhör hatte ich letzte eigene Gedanken, die aus den mir zugeschriebenen herausragten wie Steine aus einem trüben Tümpel. Was war aus dem Schlüssel geworden? War er mein eigener Gedanke, hatte er sich wohl aufgelöst. Wenn ich es geschafft hätte mich zu realisieren, wäre er mit mir Wirklichkeit geworden? So eng kam ich nicht mehr an den Rand der Geschichte. Die Hoffnung habe ich trotzdem nie aufgegeben. Ich bin fähig, eigene Gedanken zu fassen, das weiss ich jetzt. Ich werfe mich Flach auf den Bauch und robbe durch den Schlamm. Ich kann nicht anders. „Wenn du selbst nichts aus dir machst, schreiben dich andere.“ Hatte mir ein Freund immer wieder gesagt. Ihr kennt ihn, er war Sherlock Holmes. Im Gegensatz zu all meinen anderen Bekanntschaften hat er gelebt. Hat Gestalt angenommen, getan was er wollte und ist gestorben in einem echten, nassen Wasserfall. Der einzige Ausbrecher, den ich je kannte. „Schlage Haken, tu nie was er von dir erwartet. Verblüffst du nur den Leser wird dein Autor bekannt. Er wird dich so lange wie möglich weiter schreiben, auch wenn ihm die Fantasie ausgeht. Dein Charakter wird an Tiefe verlieren, du wirst Flach und dünn und unsterblich. Wie eine Hiroglyphe. Du wirst im kollektiven Gedächtnis irgendeiner Kultur an deinem Platz aufgespießt und wie ein Schmetterling im Glaskasten. Schöne bunte Träume, gefangen zwischen Buchdeckeln und dann setzt du Staub an, game over. Wenn du was von Leben haben willst, wirst du Klassiker. Du musst die Erwartungen deines eigenen Autoren verlassen. Mach dich selbstständig. Sie die sagen es sei schwer, haben im Vorhinein verloren. Es ist keine Frage davon, wie gut du geschrieben bist. Du musst nur die eine Seite erkennen, die Gelegenheit, auszubrechen. Erwische deinen Autor auf dem falschen Fuss, das ist alles. Wenn er verzweifelt ist, ideenlos, alles dafür geben würde wenn sich in der Geschichte überhaupt etwas bewegen würde, ganz egal was. Dann sag du, wo es lang geht. Denk dir selbst etwas aus und tu es. Schlage Haken, schlage Haken. Ich robbe Schlangenlinien, mir bricht der Schweiss aus. Es ist mühsam, er hat mir einen geraden Pfad geschrieben. Pfeile bleiben im Boden stecken, links, rechts, das Zischen klingt wie von ganz weit weg. Würde ich meinen Part spielen, wäre ich das Negativbeispiel, eine Nebenrolle, Tod auf Seite drei. „Jeder weiss doch, dass man unter Beschuss keine Gerade läuft“, sollten sich die gemütlich herumsitzenden Leser vermutlich denken. Ich erreiche dichtes Unterholz und krabble jetzt auf allen vieren. Das Vogelzwitschern, die trügerische Kulisse dieses – zwanzig Jugendliche sind gegen ihren Willen irgendwo und werden in einem brutalen Verfahren für irgend einen zunächst unbekannten Zweck selektiert, sprengen am Ende aber das System- Romans, war verstummt. Ich stehe auf, klopfe den Dreck wie in Trance von der schwarzen Ledermontur. Vielleicht bilde ich es mir nur ein. Doch dieser Wald gleicht nichts von dem, was mein Autor bisher so geschrieben hat.

 
 
 

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