DER FREUND AUS KORSIKA
- blummeret
- 8. Sept. 2021
- 2 Min. Lesezeit
Ein Brief von:
Markus Weiss, Künstler, Kurator und Dozent
Liebe Meret
In meinen Ferien auf Korsika ist mir ein Schlüssel zugelaufen, ein kleines feines Schlüsselchen eher, Schlüssel ist zu grob. Das kleine Ding kroch über den heissen Asphalt auf einem unwirtlichen Parkplatz einer Boulangerie. Meine Partnerin und ich hatten eben grad eingeparkt um uns ein Sandwich zu holen. Mir sind die feinen Bewegungen des Metalls aufgefallen, weil das glänzende Material in der Sonne reflektierte, und ich bückte mich um das Schlüsselchen aufzuheben. Natürlich hab ich mich gefragt wo sich sein Gegenstück befindet oder auch- wem das wohl abhanden gekommen ist. Also erkundigte ich mich bei ihm oder ihr was denn geschehen und warum es so alleine unterwegs sei. Es folgte eine scheusslich traurige Erzählung des kleinen Objektes und beim Zuhören bemerkte ich, dass mich die Geschichte sehr mitnahm. Zuerst dirigierte mich das öffnende oder schliessende kostbare Stück an jenen Ort, wo es bis anhin zu Hause war, wo es sich wohl fühlte, wo es gebraucht wurde und eine wichtige Funktion einnahm. Es wurde regelmässig benutzt um eine Glastüre zu öffnen, dies morgens, und wieder zu schliessen, dies abends. Doch- und dies war so betrüblich anzuhören, seit Wochen verharrte es in einer Zwischenposition, ohne definierte Aufgabe und Funktion, und dies machte verständlicherweise keinen Sinn. Ich verstand das allzugut, ich verstehe es noch jetzt, mir tat dies unglaublich Leid, ich hab es mit eigenen Augen gesehen Meret und für Dich fotografiert.

Wie soll sich dieses so fein geformte und wohl erhaltene Gebrauchsobjekt definieren? Wie hart muss es sein zu realisieren, dass da eine Position existiert, die nichts weiter besagt als….wir brauchen dich nicht, oder besser: nicht mehr. Was in jüngster Vergangenheit geschlossen oder geöffnet werden konnte verharrt nun, und womöglich auch in Zukunft, in einem nicht definierten Zustand, in einem Dazwischen, was keine Bedeutung mehr hat und somit dem metallenen Schlüsselchen jedes Selbstvertrauen, jeden Stolz, jede Existenzgrundlage entzieht? Liebe Meret, ich wollte Dir dies kurz erzählen, es beschäftigt mich seither und ich frag mich unentwegt, was diese Zwischenposition bedeuten mag. Ich hab das Schlüsselchen bei mir aufgenommen, wir sind zusammen mit dem Schiff von der Insel abgereist und ich versuche ihm ein neues Zuhause zu bieten. Ihm eine neue Aufgabe zu finden, die es glücklich machen kann. Mir scheint, ihm geht es schon bedeutend besser, es liegt in meinem Atelier auf dem Tisch und wir führen täglich einen Dialog über eben diesen Zwischenzustand, über die Rolle in der Gesellschaft, über Identifikation, über Toleranz, über binäre Systeme, und darüber, dass das Leben weitergeht, fernab vom ursprünglichen Zuhause. Danke Meret! Danke!
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