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"DER MYSTERIÖSE SCHLÜSSEL"

  • blummeret
  • 21. Dez. 2020
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 8. Apr. 2021

Eine Kurzgeschichte von

Melchior Blum, studiert Anglistik in Trondheim ( Norwegen)



Ich wunderte mich sehr, als ich den kleinen Umschlag aus vergilbtem Papier in den Händen hielt, in dem ich auch durch die dicken Handschuhe etwas kleines, schweres ertasten konnte. Das Postschiff kommt nur einmal die Woche hier in Longyearbyen auf Spitzbergen vorbei und bringt nötige Güter sowie einige Passagiere, die normalerweise zur Forschungsstation kommen. Und ab und zu, selbst mit dem flächendeckenden Internetanschluss hier im Norden, verirrt sich auch ein Brief, der an mich adressiert ist. Einen so eigenartigen Brief mit meinem Namen in verschnörkelter Anschrift habe ich seit meiner acht Jahre langer Anstellung als Forschungsleiter jedoch noch nie bekommen. Als ich von der Poststation die 200 Meter lange Odyssee durch die Kälte und Schneesturm in mein Labor hinter mich gelegt hatte, setzte ich mich sogleich in mein persönliches Büro und öffnete den Brief. Ein Schlüssel.


Da hier alles mit elektronischen Batches abläuft, hielt ich schon lange keinen Schlüssel mehr in meinen Fingern, geschweige denn einen so rostigen,dennoch prunkvoll verzierten Schlüssel, mit Einkerbungen, Schlaufen und Bögen. Für was er wohl gut sein mag? Lange studierte ich hin und her, bis mir auf einmal die Lieferung einfiel,die vor vielen Jahren aus Iran zu uns kam. Normalerweise nehmen wir die Samen gleich aus den Kühlboxen und gliedern sie in unser eigenes System ein, damit sie auch nach hunderten von Jahren sicher wiedergefunden werden. Doch als wir die Kühlbox öffneten, war darin eine weitere kleine Box aus dunklem Holz. Wir hatten keinen Schlüssel, der in das mit Gold umrahmte Schlüsselloch passte, also entschieden wir uns schliesslich, obwohl das nicht unseren Richtlinien entspricht, die verzierte Truhe dennoch bei uns zu verstauen –zwischen dem Saatgut des Königsweizen der Iranischen Hochsteppe und den dunklen Samen des gemeinen Affenbärbaums, welcher einst den afrikanischen Kontinent bedeckte, doch heute nur noch am Horn Afrikas vereinzelt wächst.


Euphorisch über meinen Fund gehe ich durch die Kantine an meinen verdutzten Kollegen vorbei und mache mich in den Saatgut-Tresor. Ich hebe meine Identitätskarte an den Sensor und gebe meine sechststellige Zahlenkombination ein, eile den Gang hinunter zum Regal 19B und nehme die mysteriöse Truhe hervor. Genauso wie ich sie in Erinnerung hatte. Ich nehme den Schlüssel aus meiner Tasche,

stecke ihn in das goldene Schloss und will ihn umdrehen. Mist! Der passt ja gar nicht.





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