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SCHLÜSSELGEFÜHLE

  • blummeret
  • 9. Juni 2021
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 15. Juni 2021

Ein Kurztext von:

Maja Schelldorfer, Kulturvermittlerin

Bisher hat mich noch niemand danach gefragt. Hm, ich bin wohl das, was man in meiner Gattung ein einfaches Modell nennt, klassisch, schlicht. Mein Kopf ist simpel rund, ein Ring, welcher gut in der Hand liegt. Mein Bart ist eher klein und zweizackig. Der Ring lässt sich übrigens einfach auf ein Band aufziehen. Auf diese Idee kommt immer wieder mal jemand. Allerdings, und da bin ich an einem wichtigen Punkt angelangt: ich mag das nicht. Es leuchtet mir auch überhaupt nicht ein. Mich überkommt dann nämlich ein mulmiges Gefühl, Unsicherheit macht sich sofort breit. Denn es bedeutet, dass ich ungefragt von dem Ort entfernt werde, der eigentlich für mich vorgesehen ist. Dabei ist es mir genau da definitiv am wohlsten. Mein Daheim ist also da, wo ich exakt eingeschliffen und passend ruhe. Ich fühle mich da sicher und tu das, wofür ich vorgesehen bin. Ich liege nämlich angenehm in der Öffnung und werde bei Bedarf um die Achse gedreht, bis ein Mechanismus durch diese Umdrehung Gewünschtes frei gibt oder eben andersrum, wieder verbirgt. Es stört mich überhaupt nicht, wenn ich zuerst in die falsche Richtung gedreht werde, obwohl der dabei entstehende Ruck oft etwas ruppig ist. Das ist unabänderlich, doch mit dem kann ich leben. Über all die Jahrzehnte hinweg habe ich ja so einige Besitzer erlebt. Dem gewinne ich eine interessante Komponente ab, denn die Hände sind verschieden alt, gross, rau, zart und geschickt oder besser gesagt, verschieden behutsam. Zur Zeit bin ich im Besitz von eher kleinen Händen. Sie haben mich mitsamt der kleinen Holztruhe, sozusagen meinem Haus, auf einen Dachboden getragen. Da wird es zuweilen ganz schön warm, doch schätze ich die Ruhe da sehr. Unregelmässig wird die Truhe aufgesucht und ich kann die freudige Spannung jeweils förmlich spüren, bevor dank meiner Existenz Geheimnisumwittertes frei gegeben wird.

Aber zurück zum Wohlbefinden. Wie erwähnt mag ich es nicht, wenn ich aus meinem Daheim entfernt werde. Die latente Gefahr, verlegt, vergessen oder gar verloren zu werden liegt dann wie ein Damokles-Schwert über mir. Eigentlich liegt es schon schier in der Natur unserer Spezies, dies einmal erfahren zu müssen. Ich persönlich habe es erst einmal erlebt und es war, wie soll ich sagen, ein Desaster?! Huh, ich spüre gerade, wie dieses ungute Gefühl in mir hochkriecht! Damit habe ich nicht gerechnet. Dabei war ich mir sicher, dass es mir nach all den Jahren nichts mehr ausmachen würde, dass ich darüber hinweg bin. Pfhuuu, fhhhhh, haaaahh, ich atme aus, ein, aus, das hilft, ich fasse mich gleich, einen Moment, phuu, fhhh, haaahh – so. Es geht wieder. Die innere Haltung zählt, ein inneres Lächeln, das hilft zur Entspannung. Denn he, es kam ja schlussendlich gut! Ich wurde nicht nur wieder gefunden, sondern habe auch mein Daheim zurück erhalten. Ich meine, was will ich mehr. Man denke mal an diejenigen, die, ohne eigenes Verschulden, niemals mehr in ihr Daheim zurückkehren können, verirrt, verloren, vergessen, irgendwo unbeachtet, sich nutzlos fühlend ihr weiteres Dasein fristen müssen. DAS ist richtig schlimm.




 
 
 

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